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PISA und die Deutschen

am 16. April 2002

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Vor einem überwiegend fachkundigen Publikum - eine Reihe von Schulleitern, Konrektoren und Lehrkräften waren gekommen - setzte sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, der Dachorganisation des Philologen-, des Realschullehrer- und des Berufsschullehrerverbands auf Einladung von CSU- und FU-Kreisverband mit dem brisanten Thema des schlechten Abschneidens der deutschen Schüler bei der PISA-Studie auseinander.

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Auch er setzte sich kritisch mit der Thematik auseinander.

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Herr Neumeyer leitete die sehr lebhafte Diskussion.

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Zum Dank erhielt Herr Kraus der Saison entsprechend frischen Abensberger Spargel ...

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... und ein Weißbierglas der Brauerei Schneider.

 

 

 

  

PISA und die Deutschen

Vortrag von Josef Kraus
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL)

Homepage: www.lehrerverband.de

 

Deutschlands Schulen sind ins Gerede gekommen:

Bei so viel Klagen darf man schon gar nicht mehr fragen: Wo stehen wir? Nein: Wo liegen wir? Es wird doch wohl niemand bestreiten können, daß wir jetzt endlich von anderen lernen müssen ............... Dennoch ist man versucht, in An- lehnung an Gotthold Ephraim Lessings Attacke gegen Johann Christoph Gott- sched dieser Niemand sein zu wollen. Trotz PISA!

Ja, PISA!? Für mich ist PISA weder Bibel noch schulpolitische Offenbarung. Denn die PISA-Ergebnisse kamen nicht überraschend. Bereits frühere Studien (nicht nur die TIMSS) förderten immer wieder Brisantes zu Tage. Und die Leh- rer wissen seit langem, wo die Defizite sind. Wer zwanzig Jahre Schulerfahrung hat, der weiß, daß er heute in keiner Jahrgangsstufe mehr das verlangen darf, was er 1980 verlangte, weil es sonst ein Notengemetzel gäbe. Seit einigen Jah- ren spielt sich nämlich in den Schulen genau das ab, was PISA - explizit oder implizit - jetzt bestätigt: Die Schüler können in zunehmendem Maße nur stockend lesen, sich nicht konzentrieren, und sie sind immer weniger zu häuslichen Arbeiten für die Schule bereit. Zu oft sind diese Beobachtungen als Larmoyanz eines Berufsstandes angesehen worden.

Die Schuldzuweisungen schießen dennoch zahlenmäßig ins Inflationäre. Damit aber wird PISA zum tiefenpsychologischen Phänomen. PISA-Deutschland liegt sozusagen auf der Couch. Und so manches fördert der Bildungspatient dort zutage. Da ist zum einen der Hang der Deutschen zur Autoaggression, zumindest zur Selbstbezichtigung. Kurz: Wir sind mal wieder die Schlechtesten. Deutsche wollen die Besten und Stärksten sein (siehe Salt Lake City mit 12 Goldmedaillen) - oder eben die Schlechtesten und Hintersten. Bei PISA reicht es zur marternden Selbstverteufelung allemal. Zum zweiten ist Projektion im Spiel. Das Volk der Dichter, Denker und der großen Pädagogen ist zu einem Spaß- und Freizeitvolk geworden, das seine eigene Bequemlichkeit in die Heranwachsenden hineinprojiziert und nun den Nachwuchs kritisieren kann, weil er in Sachen Lesen und Rechnen zu schwach auf der Brust sei. Garniert wird das ganze durch einen ödipalen Komplex samt kaum maskierter latenter Tötungsphantasie; schließlich ist die Autoritätsfigur Lehrer am PISA-Desaster ja mitschuld.

Tiefenpsychologie hin - Tiefenpsychologie her: Die Ergebnisse der internationa- len Schulleistungsstudie PISA sind für die Deutschen alles andere als erfreulich. In der Noten-Sprache der Schule wäre das eine schwache "Vier".

Daß immer weniger Schüler den Dingen auf den Grund gehen und sich immer mehr Schüler lieber unterhalten lassen wollen, muß uns freilich nicht wundern: Die Deutschen sind nun einmal Freizeit- und Spaßweltmeister und die Ma- cher der "ruhigen Hand"; sie arbeiten mit knapp über 1.600 Stunden pro Jahr weniger als alle anderen - 200 Stunden weniger als die Amerikaner, 500 Stunden weniger als die Japaner. Wie können die jungen Deutschen da plötzlich die Inkarnation von Fleiß und Gründlichkeit sein?

PISA hat also mit der gesamten Nation zu tun, weil sich unter den Erwachsenen in Deutschland das Verhältnis von Arbeit und Freizeit drastisch gewandelt hat. Man muß nicht so weit gehen wie Alexis de Tocqueville, der in seiner Schrift "Uuml;ber die Demokratie in Amerika" 1840 eine recht düstere Vision der Demo- kratie der Zukunft entwarf. Er prognostizierte ihr nämlich Menschen, "die sich rastlos im Kreise drehen, um sich Vergnügungen zu verschaffen ..." und darüber einen "neuen Despotismus, ... eine gewaltige, bevormundende Macht, die allein dafür sorgt, ihre Genüsse zu sichern ......" Eine ausgeprägte Freizeit- und Spaßattitüde aber haben wir bereits, und diese hinterläßt Spuren bei der jungen Generation. Es ist dann mehr als logisch, wenn junge Leute in Deutschland keine 45-Stunden-Schul-und-Hausaufgabenwoche wollen.

Frage also: Wo stehen wir national und international? Dazu im ersten Teil ein paar nationale und internationale Vergleiche; der zweite Teil soll der Frage gewidmet werden, was wir im eigenen Land tun bzw. lassen sollten.

Das bayerische Gymnasium - national und international

Ich behaupte: Das bayerische Gymnasium hat zwar ein paar Probleme (Unsicherheit in Sachen Oberstufe und Gymnasialdauer; neue Stundentafeln; Budgetierung; Wegbrechen der Grundschule; Lehrernachwuchs; Beurteilung 2001); diese relativieren sich aber im innerdeutschen Vergleich. Wir sind so schlecht nicht, wie manche es gerne hätten.

Jedenfalls haben die bundesweit üblichen Liberalisierungen im Schulbereich in Bayern nur verhalten stattgefunden; das ist ein erster Vorzug des bayerischen Systems. Die Liberalisierungen einer Freigabe der Fächer, der Inhalte und der Notengebung waren vielerorts jedenfalls der falsche Weg, denn dadurch werden den Lehrern wichtige Instrumente aus der Hand genommen.

Außerdem bestehen die Vorzüge des bayerischen Gymnasialsystems im inner- deutschen Vergleich vor allem in folgenden sieben Merkmalen:

was den internationalen Vergleich betrifft, ferner

Daß das bayerische Abitur anspruchsvoll ist, belegen immer wieder außerbaye- rische Kollegen, die sich die STARK-Abiturserien bestellen. Das belegen auch die Integrationsprobleme der Kinder, die aus anderen Bundesländern nach Bayern wechseln. Darüber hinaus kann man indirekt aus einer Reihe von Studien ablesen, daß Bayerns Gymnasien sich durchaus sehen lassen können.

1. Beispiel: Eine vom deutschen Bundesbildungsministerium in Auftrag gegebene und von der Universität Hamburg durchgeführte OECD-Studie kam 1992 zum Ergebnis, daß das Lese- und Sprachverständnis in Bundesländern mit hoher Abiturientenquote signifikant unter dem entsprechenden Niveau in Bundesländern mit geringerer Abiturientenquote liegt. Quantität und Qualität verhalten sich offenbar auch hier reziprok (negative Korrelation). Ins Brutale übersetzt heißt das: Je mehr Gymnasiasten und Abiturienten produziert werden, desto dümmer sind alle.

2. Beispiel: Im Dezember 1996 bzw. Februar 1997 wurden die Ergebnisse der TIMSS II (Third International Mathematics and Science Study; II = Mittelstufe) zum mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht in 45 Ländern auf den Markt gebracht. Als offizielles Ergebnis wurde für die 7. und 8. Klassen festge- stellt: Deutschland befinde sich nur auf mittleren Rangplätzen. Aber: Die Studie enthält auch drei Ergebnisse, die nur den Kultusministerien, nicht aber der Ouml;ffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten, nämlich daß es erstens inner- halb Deutschlands Differenzen zwischen den Bundesländern von eineinhalb Jahren gebe (es handelt sich bei den zwei verglichenen Bundesländern um Bayern und Nordrhein-Westfalen); daß zweitens die Ergebnisse der Ge- samtschule deutlich hinter der Realschule und weit hinter dem Gymnasium rangierten. Und drittens wird ständig und gezielt übersehen, daß bei TIMSS II das Gymnasium in Deutschland (und dazu gehört ja auch das Gymnasium in NRW und in Hamburg) auf der internationalen Skala auf Platz zwei steht: mit einem Wert von 589 hinter Singapur mit 607! (vor Tschechien, Japan, Schweiz usw.)

Ähnlich interessant waren die Jahr 1997 bekanntgewordenen Ergebnisse der TIMSS III für die Oberstufen. Hier liegen die Deutschen international - bei freilich in ihrer Vergleichbarkeit fragwürdigen Stichproben anderer Länder - im mittleren Bereich unter 26 Ländern. In der TIMSS III zeigt sich aber auch: Deutsche Länder mit Zentralabitur liegen um ein Jahr und mehr vorne. BadenWürttemberg rangiert im Leistungskurs Mathematik gar um zwei Jahre vor NRW. (Im Detail: Schüler aus NRW erreichten in Mathematik 113 Testpunkte, Schüler aus Bayern 126, Schüler aus Baden-Württemberg 133. Zehn Punkte entsprechen übrigens dem Lernfortschritt eines Schuljahres. Schließlich weist die im Herbst 1998 aufgelegte BIJU (Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter) aus: Gesamtschule in NRW rangiert leistungsmäßig und hinsichtlich sozialen Lernens um zwei Jahre hinter der Realschule, und zwar trotz vergleichbarer sozialer Provenienz der Schülerschaft und trotz einer um 30 Prozent besseren personellen und sächlichen Ausstattung. Und PISA 2000? Gesondert nach Schulformen erreichen die deutschen Schüler im Lesen folgende Werte: Gymnasium 582, Realschule 494, Gesamtschule 459 und Hauptschule 394. Zum Vergleich: Spitzenreiter im Lesen sind Finnland (546 Punkte), Kanada (534) und Neuseeland (529). Conclusio: Wenn deutsches Gymnasium international gut dasteht (siehe TIMSS) und wenn es weit vor deutscher Gesamtschule liegt, wenn ferner Bayern insgesamt über dem deutschen Durchschnitt liegt, dann kann bayerisches Gymnasium nicht schlecht dastehen!

Ich will quasi kasuistisch vier weitere allgemeine internationale Vergleiche anbringen: USA, Japan, UK, Finnland.

1. Beispiel USA

Seit KENNEDY klagen die US-Präsidenten über das Versagen der öffentlichen Schule. Noch fast jeder US-Präsident der letzten 35 Jahre wollte sich als "Education President" verstanden wissen.

Die Sorge der US-Eltern um die schlechter werdende Bildung ihrer Sprößlinge wächst. Der Graben zwischen den guten (privaten) und den schlechten (öffentlichen) Schulen vergrößert sich. Untersuchungen ergeben, daß Schüler von privaten Schulen landesweit eine um etwa 30 Prozentpunkte höhere Leistung in schulischen Standardtests gegenüber Kindern an öffentlichen Schulen erbringen. Mehr als ein Viertel der Eltern wählt für ihre Kinder eine "charter"-Schule, eine Privatschule. Sie können es sich leisten, für ein Schuljahr im Schnitt an der High School umgerechnet rund 15.000 Mark und am College rund 18.000 Mark, vereinzelt auch bis zu 35.000 Dollar aufzubringen. (Vgl. dazu auch die Behauptung, Deutschland habe das sozial selektivste System!)

Mehr und mehr greifen das "homeschooling" und die "Do-it-yourself"-Schule um sich: Die Eltern betreiben Heimunterricht - ursprünglich einmal von religiösen Eiferern (den Kreationisten) zum Schutz ihrer Kinder vor der Evolutionstheorie Darwins und der Big-Bang-Theorie eingerichtet. In den Genuß dieser häuslichen Bildung und dieses - staatlich geduldeten - Schulboykotts kommen im Jahr 2000 bereits eineinhalb Millionen Schüler. Und die Ergebnisse sind eindeutig: Auch diese Kinder sind den regulär beschulten weit überlegen.

Man kennt die Probleme längst: 1983 brachte die US-Regierung unter REA- GAN ihre Studie "A Nation at Risk" ("Die gefährdete Nation") heraus. Darin ist die Rede von einer Flut schulischen Mittelmaßes sowie von der Notwendigkeit einer drastischen Heraufsetzung der Anforderungen.

Jedes Jahr neu belegt das GALLUP INSTITUTE katastrophale Wissenslücken unter der Bevölkerung. 75 Prozent konnten den Persischen Golf nicht auf der Karte finden; zwei Drittel fanden Vietnam nicht. Ein Viertel der Studenten im Abschlußsemester wußte nicht, daß Kolumbus 1492 Amerika entdeckt hatte.

Gegen diese Mißstände wollten sich die Amerikaner manches einfallen lassen. 1990 propagiert BUSH sen. den Erziehungsplan "America 2000". Das Selbstbedienungsangebot des "cafeteria-style curriculum" sollte reduziert werden. Bis dato konnte man zentrale Fächer ersetzen durch Fahrkurse, Lehrgänge in Lebensrettung u.a.m. Außerdem werden mehr Hausaufgaben empfohlen. Der Lehrerbildung wird geraten, daß sie sich weniger der Pädagogik, dafür mehr dem Fachstudium widmen solle (vgl. Skepsis gegenüber dem BA/MA-Modell des Wissenschaftsrates!).

Ebenfalls 1990 wird das Programm "Earning by Learning" aufgelegt: Kinder, die ein Buch lesen und zu dessen Inhalt einen Quiz-Fragebogen ausfüllen können, bekommen von der betreffenden Stiftung zwei Dollar.

Die Universitäten selbst legen Nachhilfeprogramme in allgemeinbildenden Fächern auf. Auch Abnehmer der US-Bildungsabsolventen wissen ein Lied von diesen Defiziten zu singen. Firmen sind erschreckt über das Bildungsniveau und wollen Abhilfe schaffen. Banken spenden Millionenbeträge für Verbesserungen im Mathematikunterricht und in der Lehrerfortbildung, andere Firmen finanzieren Rechtschreibkurse für Schüler. IBM initiierte den "American Teacher Award", um Lehrer zu motivieren, und schickt eigene Fachleute als Lehrer in die Schulen. Daneben bilden sich um die Schulen herum regelrechte Bildungskonzerne, nämlich Gürtel aus Privaten Paukstudios und Computerlabors.

Die American Federation of Teachers (AFT) empfiehlt 1996 eine Rückkehr zu klassischen schulpädagogischen Prinzipien: "Be rigorous at all grade levels and in all educational programs in order to stretch students to reach their maximum potential." Der Bundesstaat Kalifornien schafft Ende 1996 - auch das ein bezeichnendes Detail - die Benutzung des Taschenrechners bei Leistungstests ab.

Andere Bildungsexperten fordern, daß Schluß sein müsse mit dem gängig gewordenen Methodenzauber und dem eigenwilligen Primat der Unterrichtsform. Es sei eine Anti-Revolution durch eine Konzentration auf Fächer und Inhalte überfällig. Ich nenne zum Beispiel Eric Donald Hirsch, der in seinem Buch "The Schools We Need and Why We Don't Have Them" 1996 zu dem Urteil kommt: Daß wir nicht die Schulen haben, die wir brauchen, liegt vor allem daran, daß wir der unterrichtlichen Kenntnis- und Wissensvermittlung zu wenig Bedeutung beimessen. Wörtlich schreibt er: "The anti-subject-matter principles of progressivism have demonstrably triumphed in our schools."

Auch G. BUSH jun., der im Januar 2001 sein Amt antritt, will den "education president" geben. Er hat eine Gesetzesinitiative eingebracht: Schulen, die bei Tests schlecht abschneiden, haben eine dreijährige Bewährungsfrist. Bessert sich dann immer noch nichts, kann können ihre Schüler - mit einem Bildungsgutschein ausgestattet - eine andere Schule besuchen.

Der neueste Schrei ist jetzt die Umwandlung von Schulen in Aktiengesellschaften. Seit Herbst 2000 ist das bereits mit 250 Schulen geschehen. Eine solche Gesellschaft beschäftigt dann die Lehrer und gibt die verbindlichen Lehrpläne vor; dafür erhält sie vom Staat pro Schüler und Jahr zwischen 5.000 und 9.000 Dollar und bewirtschaftet damit die Schule. Der Aktienkurs orientiert sich an den Testergebnissen der Schulen. Mittlerweile hat man an diesen Schulen eine Inflation an guten Noten; manche sagen, das habe mit der Reform zu tun; andere sagen, das habe mit dem unbedingten Wunsch der Lehrer zu tun, den eigenen Arbeitsplatz ggf. mit frisierten Testergebnissen zu halten (vgl. Financial Times Deutschland vom 1. März 2002). Allein in New York sollen deshalb schon 47 Lehrer vom Dienst suspendiert worden sein.

Es bleiben Zweifel, ob all die Maßnahmen nicht nur Flickwerk sind. Die Prob- leme haben zu sehr mit der Einheitsschule der High School sowie mit ihrem Egalitätsverständnis zu tun.

Gleichwohl stehen die USA bei PISA nicht mal so ganz schlecht da: im Lesen auf Platz 15, in der Mathematik auf 19, in den Naturwissenschaften auf 14.

2. Beispiel Japan

Viele Jahre war es in deutscher Wirtschaftspolitik üblich, neidvoll in den Fernen Osten zu schielen. Deutsches Management konnte - gramgebeugt ob deutscher "Standort-Nachteile" - gar nicht genug kriegen von Sentenzen wie diesen: "Von Japan lernen heißt siegen lernen." "Die Japaner arbeiten mit unlauteren Mitteln: Sie arbeiten während der Arbeitszeit."

Im Jahr 1997 war denn auch schulpolitisch Projektion deutscher Reformgelüste ins Fernöstliche angesagt. Schließlich standen bei der TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) an der Spitze Singapur, Korea und Japan. Diese Ergebnisse waren damals noch nicht so richtig bekannt, da brach in Deutschland, flankiert von hypochondrisch-deutschem Leiden am eigenen Schulsystem, asiatisches Fieber aus: "Von Japan lernen heißt rechnen lernen", titelte die Frankfurter Rundschau; die SZ begann einen Japan- Bericht mit der Schlagzeile "Mathematik von einem anderen Stern" (SZ).

Für Neidgefühle gegenüber japanischer Schule gibt es aber auch nach PISA kaum Anlaß, wenngleich Japan dort im Lesen Rang 8, in der Mathematik Rang 1 und in den Naturwissenschaften Rang 2 erzielte.

Warum gibt es keinen Anlaß, von Japan zu schwärmen? Zum einen ist japanische Schule eine Drillschule. Daß Japan in seinen Schulen international mit die meiste Gewalt und die meisten Suizide hat, hängt damit zusammen. Ansonsten werden Heranwachsende in Japan wegen der an den meisten Schulen und Hochschulen, verschiedentlich sogar an Kindergärten stattfindenden Aufnahmeprüfungen vor allem über Nachhilfe auf Leistung getrimmt. Während 1985 rund 45 Prozent der Schüler eine der 40.000 "juku" mit ihren jährlich 12 Milliarden Mark Umsatz besuchten, also eine private Nachmittags- und Abendschule, waren es in den 90er Jahren bereits 64 Prozent der Achtkläßler. In Deutschland liegt der entsprechende Prozentsatz bei ca. 13 Prozent in den Gymnasien und Realschulen. Wenn zwei Drittel japanischer Schüler also solchermaßen getrimmt werden, dann kann man das als Symptom von Lernbereitschaft werten, man kann darin aber auch eine Bankrotterklärung für das Schulsystem sehen.

Die Japaner erreichen ihre Spitzenpositionen - wie Singapur und Korea - mit höchsten Klassenstärken. Das erklärt, warum Japan mit 4 Prozent unter allen OECD-Ländern das Schlußlicht beim Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist (in Deutschland sind es rund 6 Prozent). Kaum jemand wird dieses Faktum, das zugleich Ausdruck eines eher kollektivistischen Menschenbildes ist, auf deutsche Verhältnisse übertragen wollen.

All diese Fakten müssen im Vergleich Deutschlands mit Japan zur Kenntnis genommen werden. Wenn man über die Uuml;bertragbarkeit japanischer Schulbildung nachdenkt, dann sollten aber auch ein Spezifikum des japanischen Unterrichts beachten, nämlich daß er sehr auf Kontinuität angelegt ist: "Das Stoffgebiet wird in Japan jedoch nicht aufgegeben, sondern in nahezu allen Klassen in einzelnen Stunden mit reduzierter Intensität wiederholt", so die TIMSS, und weiter: "Im japanischen System hat Anstrengung eine ungleich höhere Bedeutung." Das sollte nicht verwundern, wo sich Japaner, so Jörg Möller in seinem Buch "Japans Bildungskrise", doch gerne mit "ganbatte kudasai" ("Bitte halten Sie durch!") begrüßen. Und: Am Ende der japanischen Sekundarstufe I ("chugakko") findet eine Zentralprüfung in fünf Fächern statt. "Diese Prüfung wirkt auf das Lernverhalten in der Sekundarstufe I regulierend zurück" (TIMSS).

3. Beispiel: Finnland

Nun also Finnland: Es ist der PISA-"Sieger": im Lesen mit Platz 1, in der Mathematik mit Platz 4 und in den Naturwissenschaften mit Platz 3.

Was weiß man über Finnland? Ich möchte das Wichtigste und Interessanteste mit ein paar Spiegelstrichen kennzeichnen:

Und: In Finnland genießen Lehrer höchstes Ansehen. Kein Politiker würde es dort wagen, Lehrer zu beschimpfen! Es gehen auch mit die besten Abiturienten in den Lehrerberuf, obwohl er nicht bestens besoldet ist.

4. Beispiel England

Ich persönlich halte das United Kingdom für den europäischen Bildungsaufsteiger der letzten 15 Jahre. Warum? England, das immer weit hinten lag, erzielte in der PISA im Lesen Rang 7, in der Mathematik Rang 8 und in den Naturwissenschaften Rang 4.

Wie kam es dazu? In Großbritannien wurde in den 70er Jahren zwar das gegliederte Schulsystem abgeschafft und durch die Einheitsschule der "Comprehensive School" ersetzt. Die "Senior Secondaries" und die "Grammar Schools" verschwanden weitestgehend von der Bildfläche; nur 160 von den "Grammar Schools" blieben erhalten.

Ab Mitte der 80er Jahre waren die Folgen dieser "Reformen" zum Verdrußthema geworden. Allgemein beklagte man das sinkende Niveau der Schulen sowie die Aufsplitterung des Bildungssektors in ein Zweiklassensystem: in einen niveaulosen, öffentlichen Durchschnittsbereich mit rund 30.000 und in einen privaten Elitebereich der Oberschicht und des Mittelstandes mit rund 2.500 Schulen und mit bis zu 30.000 Mark jährlichen Schulgebühren. Von den 200 Schulen, die im landesweiten Vergleich am besten abschnitten, gehören regelmäßig 190 zum privaten Schulsektor. Die Gesamtschulen selbst stellten sich nur noch als ein Hort der Unterprivilegierten dar. Das "child centred learning" wurde für gescheitert erklärt.

1988 unternahm die Regierung THATCHER den Kraftakt. Sie verabschiedete das neue Erziehungsgesetz ("Great Education Reform Bill/GERBIL) und machte ein "National Curriculum" mit "standards and quality control" für alle Schulen verbindlich.

Mit den 88er Reformen erlangten die Schulfächer einen höheren Verbindlichkeitsgrad. Zuvor war ein Ausweichen auf "weiche" Fächer möglich, etwa auf Kunst, Musik oder Handwerken. Schüler hatten "harte" Fächer umgehen können. Jetzt sind bis zum 16. Lebensjahr zehn Fächer verbindlich: die "core subjects" Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften sowie die "foundation subjects" Technologie, Geographie, Geschichte, Musik, Kunst, Sport und eine Fremdsprache. Eingerichtet wurden nachfolgend das "Office for Standards in Education" (OFSTED). Die Messung des Schulerfolgs erfolgt mit standardisierten Tests ("Standard Assessment Tests" - SAT). Das ist eine Art Zentralprüfung für Schüler im Alter von 7, 11, 14, 16 Jahren in allen zehn Fächern. Seit 1992 werden die SAT-Ergebnisse der Schulen in jedem November in den großen Tageszeitungen veröffentlicht.

Am 15. März 1996 bringt die TIMES eine Studie über die defizitären Mathematikleistungen englischer Schüler. Besonders interessant ist dabei die Bewertung der Ursachen für diese Defizite. Die TIMES führt diese u.a. zurück auf

Mit Tony BLAIR übernimmt im Mai 1997 die Labour Party mit der Dreifach-Prioritätenliste "Bildung, Bildung und nochmals Bildung" die Regierung. Man hätte damit rechnen können, daß die neue Regierung alles über Bord wirft, was die Tories schulpolitisch etabliert hatten. Aber mitnichten. BLAIR setzt die Politik seiner konservativen Vorgänger gezielt fort: In ihrem Weißbuch mit dem Titel "Excellence in Schools" fordert die Labour-Regierung mehr Leistungsorientierung und Effizienz in den Schulen, mehr Leistungskontrollen sowie eine Erhöhung der Anforderungen und eine unterrichtliche Differenzierung nach dem Leistungsvermögen der Schüler. Das "National Curriculum" bleibt erhalten, und bis zum Jahr 2002 sollen Elfjährige 80 Prozent der erwarteten Maßstäbe im Englischen und 75 Prozent in Mathematik erreichen; zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme durch Labour sind es rund 60 Prozent.

BLAIRS damaliger Erziehungsminister David BLUNKETT (jetzt Innenminis- ter) will darüber hinaus einen Verzicht auf den Taschenrechner und eine Förderung des Kopfrechnens ("Kopfrechnen statt Knöpfedrucken"), einen Verzicht auf die sog. kindorientierte Erziehungstheorie, mehr Hausaufgaben für die Schüler (von 30 Minuten für die Grundschüler und von 90 Minuten für die älteren Schüler ist die Rede), ferner eine Rückkehr zu traditionellen Unterrichtsmethoden, wie dem lehrergeleiteten Frontalunterricht.

Vor allem will Labour eine Stärkung der Schulaufsicht durch regelmäßige externe Kontrolle der Schulen. Leistungsschwachen Schulen soll gar das Aus drohen, so beinahe fast 80 Jahre nach ihrer Gründung auch der Summerhill-Schule, die zuletzt vor allem wegen der unbefriedigenden Englisch- und Mathematik-Kenntnisse ihrer Schüler aufgefallen war.

Auch unkonventionelle Methoden der schulischen Leistungssteigerung sind unter Labour angesagt: So begannen im Herbst 1997 zwanzig Clubs der ersten Fußball-Liga, an einem unter anderem staatlicherseits mit sechs Millionen Pfund ausgestatteten Programm ("Playing for Success") zur Förderung schwacher Schüler mitzuwirken: In Newcastle, Sheffield und Leeds bekommen schwache Schüler in den Räumen der Fußballclubs Nachhilfeunterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen.

Anfang 2001 hat BLAIR das Heft in Sachen Schulstruktur noch fester in die Hand genommen. Er will - sehr zum Entsetzen mancher Labour-Genossen - die Gesamtschule zu Grabe tragen. BLAIR will das Schulwesen wieder auffächern. Das gute alte Gymnasium feiert damit ein Comeback. Für besonders Begabte eröffnet man sogar spezielle Elite-Schulen.

Vergleiche dazu auch die Expertise der KIENBAUM-Unternehmensberatung vom Januar 2002: Danach ist England der Bildungsaufsteiger Europa in den letzten eineinhalb Jahrzehnten!

Schule in Deutschland - Konsequenzen

Man sieht, daß - außerhalb Deutschlands! - selbst Parteien (etwa Labour), die Jahrzehnte zuvor "kindorientiertes Lernen" und "Spaß am Entdecken statt Auswendiglernen" angesagt hatten, bereit zur Einsicht und zur Umkehr sind. Das ist eine allgemeine und nicht uninteressante Erkenntnis aus internationalen Schulsystemvergleichen. Sodann sind aus diesen Vergleichen folgende Schlußfolgerungen zu ziehen.

  1. Die Deutschen würden gut dran tun, sich wieder der Stärken zu besinnen, die einst ihr Schulsystem zu einem weltweit beneideten machten. Zu diesen Stärken gehört vor allem der hohe Differenzierungsgrad des Schulwesens, d.h. das gegliederte Schulwesen. Der jetzt auch von manch Konservativem immer wieder aufgelegte Topos, daß die Schulstruktur keine Rolle spiele, ist ein Phantom. Die innerdeutschen Leistungsvergleiche (siehe BIJU) zeigen überdeutlich, daß die Gesamtschule in keinem Bereich schulischen Lernens mithalten kann. Zu unseren Stärken gehören im Detail somit die äußere Fachleistungsdifferenzierung, das Eignungsprinzip bei der Positionierung der Schüler im verzweigten System, die Unterrichtung nach einem klar gegliederten Fächerprinzip, die Wissenschaftsorientierung der Unterrichtung, die Lehrerzentrierung des Unterrichtsge schehens, das sog. Abitur statt dem Aditur-Prinzip, das duale Berufsbildungssystem und die zweiphasige Lehrerbildung.

    Es gibt auch keine Grund, unter Hinweis auf die internationale Situation die 13 Jahre Schulbildung in Deutschland bis zum Abitur auf 12 Jahre zu verkürzen. Die internationale Vergleichslage gibt das nicht her: 13 Jahre Schulzeit bis zum Erwerb einer Hochschulreife sind international sehr wohl üblich. 13 Jahre haben Italien und England mit jeweils fachspezifischer Hochschulreife als Abschluß, 13 Jahre mit Allgemeiner Hochschulreife haben Luxemburg und mehrere Kantone der Schweiz, 14 Jahre die Niederlande und Island. Mit Ausnahme Belgiens und Ouml;sterreichs vergeben alle Länder, die nur 12 Jahre kennen, eine nur fachspezifische bzw. eingeschränkte Hochschulreife, zumeist begleitet von einem Aditur, das heißt einer Hochschulzugangsprüfung. In Belgien und Spanien wird zwar formal eine allgemeine Hochschulreife verliehen, tatsächlich wird jedoch auch dort eine eingeschränkte Vergabe der Hochschulreife durch zusätzliche fachspezifische Eingangsprüfungen praktiziert. Frankreich hat 12 Jahre, aufgrund der hohen Repetentenquote von rund 70 Prozent und aufgrund der für viele Studienaspiranten notwendigen "classe préparatoire" de facto zumeist 13 oder 14 Jahre.

  2. Wir müssen gerade aufgrund der Erfahrungen mit explodierenden sogenannten Abiturientenquoten in den USA oder in Frankreich endlich einsehen, daß das Abitur oder das Hochschulstudium nicht Mindeststandard der Zukunft sind, auch wenn manche Bildungspolitiker uns in Deutschland dies glauben machen wollen. Vielmehr sollte uns zu denken geben, daß Länder mit höchsten Abiturienten-Quoten teilweise zugleich die höchsten Quoten arbeitsloser Jugendlicher haben. Wir dürfen außerdem - das hat mit Arroganz gar nichts, mit Seriosität aber viel zu tun - annehmen, daß das, was andere Länder als "Abitur" oder als Studium "verkaufen", in Deutschland nicht einmal einer Fachschulausbildung entspräche (vgl. Krankenschwester in Finnland und den USA!).

    Eine "Verhochschulung" unserer Gesellschaft wird der Forderung nach Höherqualifizierung aber absolut nicht gerecht. Auch in Zukunft werden mindestens zwei Drittel der jungen Menschen über die berufliche Bildung den Einstieg in einen Beruf finden. Diese jungen Menschen dürfen nicht als Außenseiter betrachtet werden.

    Deshalb wird es Zeit, die Gymnasial- und Akademisierungseuphorie zu überwinden und mehr dafür zu tun, daß die berufliche Bildung im öffentlichen Bewußtsein den gleichen Rang bekommt wie der allgemeinbildende und der akademische Bereich.

  3. Es muß Schluß sein mit der reinen sog. Kind- und Selbstzentrierung schulischen Lernens. Alle pädagogische Welt scheint ja nur noch begeistert, wenn nicht sogar paralysiert vom Selbst der Schüler. Angesagt sind dementsprechend für Schule und Unterricht: Selbstbestimmung, Selbstentfaltung, Selbsterfahrung, Selbsterziehung, Selbstevaluation, Selbstkonzept, Selbstqualifizierung, Selbstregulierung, Selbststeuerung, Selbstunterricht, Selbstvergewisserung, Selbstverwirklichung, Selbstwerdung, Selbstzentrierung. Nicht angesagt sind leider: Selbstbeherrschung, Selbstbesinnung, Selbstdisziplin, Selbstironie, Selbstkritik, Selbstlosigkeit. Autismus wird damit zur (Unterrichts-) Methode.

    Dagegen ist zu setzen: Diese sog. kindzentrierte Schule raubt den Schülern die Zukunft, weil sie die Kinder in der kindlichen Gegenwart einkerkert. Und Kindgemäßheit darf auch nicht heißen, daß ich komplexe Sachverhalte so manipuliere, bis sie kindgemäß sind. Was dabei herauskommt, zeigt die jüngste orthographische Erleichterungspädagogik.

    Prof. Alfred Schirlbauer vom Erziehungswissenschaftlichen Institut der Universität Wien hat sehr recht, wenn er in seinem Buch äIm Schatten des pädagogischen Eros - Destruktive Beiträge zur Pädagogik und Bildungspolitik" (1996) insbesondere die sog. "NeueLernkultur" kritisiert - eine Lernkultur, derzufolge "alle Lehrende und alle Lernende" seien, "Schülerinnen und Schüler ihr Lernen selber organisieren und planmäßig Lehrfunktion übernehmen" müßten. Schirlbauer dazu: Wenn alle Lernende sind, macht es wenig Sinn, die in der Regel älteren unter ihnen zu bezahlen, die anderen nicht.

  4. Es kann vor allem keine Bildungsoffensive ohne Erziehungsoffensive geben. Die Eltern müssen mehr Anteil nehmen am Lernverhalten ihrer Kinder.
    Ein Beispiel nur:
    Die Gewohnheiten hinsichtlich Lesen werden im ersten Lebensjahrzehnt gelegt oder eben nicht. Das beginnt mit dem Erzählen und mit dem Vorlesen zu Hause. Und es setzt sich mit dem elterlichen Vorbild fort. Die Schule kann hier nur in begrenztem Umfang kompensatorisch wirken. Interessant ist auch, was eine OECD-Studie des Jahres 1992 dazu eruierte. Leider sind deren Ergebnisse damals in Deutschland kaum registriert worden, nämlich das die Lesefreude und Leseintensität der Kinder abhängt vom Vorhandensein von Büchern und Zeitschriften im Elternhaus und daß das gesamte schulische Leistungsvermögen der Kinder eng mit der außerschulischen Lektüre der Kinder zusammenhängt. (Siehe die Glaubwürdigkeit elterlicher Leseerziehung, wenn sie selbst erdnußmampfend vor der Glotze sitzen und ins Kinderzimmer rufen: „Nun lies doch mal eine Buch!").

    Wir müssen uns nicht als rückständig fühlen, weil die meisten anderen Länder ein Ganztagsschulsystem haben. Uns Halbtagsschulsystem hat sich bewährt. Es gibt den Kinder auch außerhalb der Schule Raum zu Entfaltung. Nur Schule oder gar Schule total - das wäre eine drastische Verarmung der Entwicklungschancen unserer Kinder. Und auch als Staatsbürger habe ich etwas gegen eine weitere Verstaatlichung der Erziehung. Es ist ja geradezu verdreht, wenn man jetzt Ganztagsschulmodelle als Entlastung der Familien propagiert und wenn Parteien glauben sie seien um so beliebter, je mehr sie den Eltern die Kinder abnähmen. Lassen wir uns her nicht von der Bequemlichkeit mancher Eltern verleiten, die nach dem Motto denken: Für die Schule zahle ich eine Menge Steuern, also möchte ich mein Kind auch um 7.30 Uhr dort abliefern und um 17 Uhr abholen können: vokabelabgefragt, gefälligst konfliktgelöst und erkennbar abiturtauglich. Lassen wir uns auch nicht vom Ausland blenden: Wo es Ganztags- schule gibt, gibt es eben nicht das breite und vielfältige Spektrum der Jugendarbeit wie bei uns in Deutschland!

  5. Es gibt auch eine Schule jenseits von PISA. Wir müssen uns in Sachen Bildung endlich wieder auf den Eigenwert des Nicht-Meßbaren besinnen. Anders, herkömmlicher ausgedrückt: Wir sind in Deutschland mit dem Grundsatz, daß unsere Schulen Allgemeinbildung leisten sollen, gut gefahren, und wir sollten uns wieder daran erinnern. Und: Allein vom Wiegen wird die Sau nicht fett!

    Es gibt auch eine Schulleistung jenseits von PISA. Warum ich das betone? Weil ich das Gefühl habe, Schulleistung wird nach PISA nur noch operationalistisch betrachtet. Das sehe ich eine Analogie zu einer früheren gleichwohl pfiffigen, aber auch hilflosen Definition von Intelligenz, die sich in der diagnostischen Psychologie bereitgemacht hat: Intelligenz ist das, was der Intelligenztest mißt. Das stimmt nicht! Und ebenso wenig stimmt, daß Schulleistung das ist, was PISA mißt.

    Und wir sollten uns auch besinnen auf den Eigenwert des Nicht- Ouml;konomischen. Warum muß man darauf hinweisen? Weil von den Alpen bis zur Weser offenbar eine neue Schulpolitik umgeht. Parteiübergreifend gemeinsam ist ihr nach meinem Eindruck das monomanische Schielen nach Methoden des Marktes, nach „new economy" und nach "IT".

    Getreu protziger Management-Theorie wird Schule auf die Reise geschickt zu: Total Quality Management, Sponsoring, Marketing, Benchmarking, Controlling, Auditing, Budgetierung, Innovationsmanagement, Kundenzentrierung, Handlungsorientierung, Business Excellence, Assessment, PPP/Public Private Partnership, Just-in-time-Knowledge usw. (auch Last-Minute-Quailification?).

    Schule also überall unter dem Diktat von Marketing? Schulpolitik überall als Filiale der Wirtschaftspolitik? Gegen das Gebot, daß finanzielle Aufwendungen für Bildung sich auch messen lassen müssen am Bildungserfolg, ist nichts einzuwenden. Aber: Mit einem kulturell gereiften Bild vom Menschen hat rein ökonomisch betrachtete "Bildung" wenig zu tun.

    Man sollte zudem zur Kenntnis nehmen, daß es große Unterschiede zwischen Wirtschaftspolitik und Schulpolitik gibt - Unterschiede, die jede Ein-zu-Eins- Implementierung von Management-Methoden im Bildungsbereich verbieten; Unterschiede auch, die Wirtschaftspolitik als das einfachere Unternehmen erscheinen lassen als Bildungspolitik. Erstens hat die Wirtschaft ihre rasch und seismographisch ausschlagenden Indikatoren. Die Bildungspolitik kennt dergleichen kaum; hier werden Schäden oder Versäumnisse frühestens eine Schü- lergeneration später sichtbar. Um so mehr bedarf Bildungspolitik eines besonders behutsamen Vorgehens. Zweitens: Die Anbieter anspruchsvoller Wirt- schaftsprodukte können auf einen Konsumenten zählen, der entsprechende Preise dafür zahlt. In der Bildung aber meinen manche Anbieter und Konsumenten bereits, sie sei gar ohne den Preis Anstrengung erwerbbar. Und drittens glaubt in der Wirtschaftspolitik nicht jeder, mitreden zu können. Das erleichtert Wirtschaftspolitik ungemein.

    Zudem ist es ist ein Irrtum zu glauben,

    Dieses "immer mehr mit immer weniger" ist eine Wundertüten-Versprechung, die allenfalls marktschreierische Management-Trainer gut kleidet.

    Selbst manch Konservativer hat sich angesichts solch neuer Schulpolitik schon bei der Option ertappt, sich zum Altlinken zu wandeln. So ganz falsch könnte die These, Bildung dürfe nicht den "Verwertungsinteressen des Kapitals" ausgeliefert werden, ja vielleicht doch nicht sein. Es geht schließlich in Sachen Bildung - weil sie sonst nur Ausbildung ist - eben schon um den Eigenwert des Nicht-Ökonomischen. Unsere beiden christlichen Kirchen (Deutsche Bischofskonferenz und Evangelische Kirche Deutschlands) haben hier den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie in ihrem gemeinsamen Papier zur Bildungspolitik vom 16. November 2000 (Titel: "Wissen braucht maß - Lernen braucht Ziel - Bildung braucht Zeit") vor einem "Totalitarismus neuen Typs" warnen, nämlich vor einem "subjektlosen Funktionalismus."

    Aber der schulpolitischen Debatte ist die Anthropologie abhanden gekommen. Der junge Mensch wurde zuletzt einem behavioristisch bzw. informationstechnisch hergeleiteten pädagogischen Allmachtstraum geopfert, der seinen Widerhall findet in technizistischen Ansätzen von Schule. Die Behavioristen treten wieder auf den Plan und verkünden die grenzenlose Machbarkeit (Konditionierbarkeit) des Menschen (übrigens eine Machbarkeitphantasie, die an Ratten und Tauben im Käfig gewannen).

  6. Schließlich müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, daß es einen Zusammenhang zwischen Schulqualität und Lehreransehen gibt. Es hat schon Sinn, wenn man in Deutschland an einer zweiphasigen, schulformdifferenzierten, wissenschaftsorientierten Lehrerbildung sowie am Beamtenstatus samt Streikverbot für Lehrer und an einer vernünftigen Lehrerbesoldung festhält. Ansonsten sei an dieser Stelle und aus leider wiederkehrendem Anlaß an Karl Jaspers erinnert; dieser schrieb 1966 in seinem Buch "Wohin treibt die Bundesrepublik?": "Es ist ein Schicksal des Volkes, welche Lehrer es hervorbringt und wie es seine Lehrer achtet..." Das hat Jaspers nicht über alle Schulpolitiker gesagt, und diese Aussage hatte bereits Adolph Freiherr von Knigge in seiner Schrift "Uuml;ber den Umgang mit Menschen" im Jahr 1788 intoniert, als er schrieb: "Der geringste Dorfschulmeister, wenn er seine Pflicht treulich erfüllt, ist eine wichtigere und nützlichere Person im Staate als der Finanzminister ..." Jaspers und Knigge haben wohl nicht erahnt, wie sehr ihre Worte über die Lehrer auch noch zu Beginn des 21. Jahrhundert in Deutschland notwendig sind.

  7. Wir brauchen eine Post-PISA-Debatte um die Inhalte schulischer Bildung und eine Renaissance des Wissens

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PISA hat - bislang leider unausgesprochen - mit Bildungsinhalten bzw. deren Verschwinden zu tun. Hier tun sich schwarze Löcher auf. Lebte der Gymnasi- aldirektor Georg Wilhelm Friedrich Hegel noch und sähe er sich die schulische Bildung heute an, er spräche wahrscheinlich davon, daß in Sachen Bildungsin- halte eine "Furie des Verschwindens" gewütet habe.

Der Philologe Friedrich Nietzsche - lebte auch er noch und analysierte er Schule heute - würde die allgegenwärtige Aversion gegen "Vorratswissen" und gegen den "45-Minuten-Takt", ferner die Schwärmerei für Fach-, Methoden-, Sozial- und Handlungs-"Kompetenzen" sowie für „Projektlernen" und "Fächerverbün- de" mit den Worten kontern: "Unsere moderne Bildung ist gar keine wirkliche Bildung, sondern nur eine Art Wissen um Bildung." Oder er würde sagen: "Das Leichtere und Bequemere hüllt sich in den Mantel prunkhafter Ansprüche."

Tatsächlich hat in den letzten Jahrzehnten in den Schulen in weiten Teilen Deutschlands Kontraproduktives stattgefunden: Die stoffliche Basis schulischer Bildung wurde unterminiert. Die aktuelle schulpolitische Diskussion wird von einer geradezu objektlosen Aufsässigkeit beherrscht.

(Schein-)begründet wurde dieser furiose Feldzug gegen Inhalte (schein-) demokratisch mit Gleichheit und Gleichwertigkeit: Alle Inhalte und Fächer seien gleich bedeutend, weil ja das exemplarische Vorgehen die Methode der Wahl sei. Auch eine Form von Egalitarismus! Das Wissen um historische Namen und Daten beispielsweise wurde mit einem Bannstrahl belegt, weil solches Wissen "Stoffhuberei" sei. Statt Literatur gab es "Texte", und nach literarischen Begriffen oder Dichternamen sucht man in den Curricula mancher Bundesländer oft vergeblich, wie ja überhaupt große Literatur unter dem Diktat der Lebensnähe mit Trivialliteratur und Gebrauchstexten egalisiert wurde. Hätte Goethe so geschrieben, wie es manch curricularer Ingenieur gerne gehabt hätte, wir hätten 1999 Goethes 250. Geburtstag gewiß nicht gefeiert.

Dabei gibt es gerade in Zeiten der Globalisierung und der neuen Informations- techniken Gründe genug für eine Renaissance des Wissens. Vor allem aber vermittelt nur eine Schule des Wissens Identität und Orientierung. Das sollten wir - gebannt von PISA - nicht vergessen.

Bloße Information leistet keine Bildung. Bildung für die Zukunft kann deshalb nicht nur Anleitung zum Umgang mit Information sein. Wir dürsten schließlich nach Wissen, aber wir ersaufen in Information. Und wir sind längst an einem Punkt angelangt, wo - so paradox das klingt - Information Kommunikation tötet. Denn Information, das ist das Sterile, das Flüchtige. Wissen, das ist das Lebendige, das Beständige, das Gewichtete, das Bewertete. Wissen, das ist mehr als die Summe der zugrunde liegenden Informationen. Wissen bedeutet immer zugleich Synergie-Gewinn, zum Beispiel Vergewisserung, also einen Gewinn an Identität. Deshalb brauchen wir eine Bildung für eine Wissensgesellschaft und keine Ausbildung für eine bloße Informationsgesellschaft.

Wir sollten uns auch nicht zu leicht erschrecken lassen von immer kürzeren sog. Halbwertszeiten des Wissens. Es mag ja eindrucksvoll sein, daß wir in der Computertechnik Halbwertszeiten von drei Jahren haben, das heißt, daß das Wissen des Jahres 2002 im Jahr 2005 zur Hälfte überholt ist.

Aber: Es gibt unendlich viel Wissen, das sich nicht überholt. Das Einmaleins hat eine unendliche Halbwertszeit. Das gleiche gilt für historische Fakten, für naturwissenschaftliche Grundgesetze, für die große Literatur, für anthropologische Grundtatsachen. Und auch Englischvokabeln haben eine Halbwertszeit von ein paar hundert Jahren, lateinische ohnehin.

Ein solches breites Wissen ohne Verfallsdatum ist zugleich die unerläßliche Voraussetzung für die Fähigkeit zur Zusammenschau. Wer erfinderisch und innovativ sein möchte, der möge erst einmal viel, sehr viel wissen. Sogenannte Schüsselqualifikationen reichen nicht aus. Und es reicht nicht aus zu wissen, wo man etwas nachschlagen oder - im Internet surfend - "herunterladen" kann.

Natürlich ist es wichtig zu wissen, wo man etwas findet. Aber: Man stelle sich ein politische, eine naturwissenschaftliche oder eine ökonomische Live-Debatte vor, in der die Debattenpartner zwar wissen, wo man was findet, in der sie aber ständig zum Bücherregal rennen oder sich ins Internet einklinken, um sich Fakten und Argumente zu suchen. Eine solche Download-Gesellschaft mit ihrem Häppchen- und Just-in-time-Wissen wäre eine Gesellschaft ohne Vorrat.

Konkretes Wissen hat darüber hinaus eine wichtige staatsbürgerliche Funkti- on. Wir brauchen als mündige Bürger sehr konkretes und stets präsentes (auch abrufbares!) Wissen, weil wir uns sonst von den Politikern, Wissenschaftlern, Statistikern oder gar von den Demagogen ständig ein X für ein U vormachen lassen müssen. Denn: Wer nichts weiß, muß alles glauben! Man denke sich einen Menschen ohne Wissensfundus. Er wäre das Lieblingsobjekt eines jeden Diktators. Denn dieser Unwissende wäre verführbar für jede Lüge, außerdem anfällig für jedes Angstmachen und für jedes Propagieren von Vorurteilen - frei nach dem Motto: "Ich weiß, daß du ein Mann/eine Frau, ein Weißer/Schwarzer bist. Das reicht mir, dann weiß ich den Rest auch." Nicht umsonst lautet ein Wahlspruch in Orwells düsterer Vision "1984": Unwissenheit ist Stärke!

Eine Bildung ohne die Dimension des Historischen, ohne historisch-narrative bzw. biographisch-narrative Elemente, eine Bildung der bloßen Daseinsgefräßigkeit und ein "Nihilismus des Geltenlassens von schlechthin allem" (Arnold Gehlen) wären geradezu eine Verweigerung von Identität. Eine zukunftsfähige Schule (v.a. das Gymnasium!) leistet daher über historische Grundbildung gerade in Zeiten der Globalisierung Identitätsstiftung und Orientierung.

Zukunft ist Herkunft (Martin Heidegger). Der unbehauste Mensch jedenfalls wird die Beliebigkeit und Oberflächlichkeit des "global village" nur dann aushalten, wenn er Geborgenheit in Kultur, Geschichte, Tradition und Sprache fin- det. Und er wird nur dann seine Trendanfälligkeit sowie seine Froschperspektive überwinden, wenn er beherzigt, was Frühscholastiker Bernhard von Chartres (um 1120) meinte, also er riet: "Im Bewußtsein unseres begrenzten Erkenntnisvermögens sind wir alle Zwerge, aber auf den Schultern von Riesen können die Zwerge weit schauen." Mit anderen Worten: Die Geschichte der Menschheit und ihr Wissen, ihre Literatur und die Weisheit ihrer Sprachen - das sind die Schultern von Riesen, auf denen wir Zwerge sehr weit sehen könnten.

Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist somit eine Kanon-Debatte alles andere als überholt. Es sind mancherorts dreißig Jahre inhaltlichen Vakuums zu füllen. Der Ausstieg mehrerer Bundesländer aus Lehrplänen und deren Ersetzen durch Rahmenpläne ist mitverantwortlich für diese Entwicklung. Das Ersetzen von Bildungszielen durch Lernziele ist eines ihrer Symptome. Es geht aber nichts ohne allgemeinverbindlichen Inhalte unumstrittener Autorität. Schule braucht klare Fächer- und Inhaltsstrukturen, denn solche Strukturen erleichtern die Orientierung in einer Flut an Informationen. Die Wissenschaften und Unterrichtsfächer untergliedern sich in Einzelbereiche, die nicht umsonst "Disziplinen" heißen, weil sie eben das "disziplinierte" Herangehen an Sachverhalte fördern.

Daher ist dringend eine Rückkehr zu inhaltlich orientierten und verbindlich vorschreibenden Lehrplänen notwendig. "Richtlinien" sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich konstruiert, insofern konnte man schon für 80er Jahre bundesweit nur noch höchst begrenzte Uuml;bereinstimmungen konstatieren (Beispiel: Schleswig-Holstein). Dem Prinzip Beliebigkeit wurde Tor und Tür geöffnet (Beispiel: Steven King!). Es ist daher unumgänglich, zugunsten überprüfbarer Vergleichbarkeit, Transparenz, Qualität und gemeinsamer Kommunikationsgrundlagen allgemein verbindliche Standardinhalte in Lehrplänen zu formulieren. Es wäre eine zentrale Aufgabe der Kultusministerkonferenz (KMK), solche Grundwissensbestände für zentrale Fächer zu formulieren.

Was wir natürlich nicht brauchen, das ist eine perfektionistische Überfrachtung der Fächer. Aber die Diskreditierung des Wissens als "abfragbares/abprüfbares Wissen" hilft auch nicht weiter. Ich wollte, unsere Schüler verfügten über mehr abfragbares/abprüfbares Wissen. Wir brauchen deshalb auch keine curricularen Erbsenzähler, die der Schule permanent "Stoffülle" ankreiden oder ihr vorrechnen, sie mache im Biologieunterricht eine Stunde zu viel mit Regenwürmern und im Geschichtsunterricht zwei Stunden zu viel mit der Steinzeit herum.

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Wir brauchen alles in allem Lehrpläne, die anhand konkreter Inhalte Antwort geben auf die Fragen:

Offensive für das Fach Deutsch!

Das Beherrschen der Sprache ist unter allen sog. Schlüsselqualifikationen überhaupt die zentrale, denn nahezu alle Schlüsselqualifikationen haben mit Sprachbeherrschung und Sprachanwendung zu tun.

Es ist dringend notwendig, daß sich die Schule deutschlandweit - und übrigens zum Nutzen aller Fächer - in der muttersprachlichen Bildung von einigen Fehlentwicklungen der letzten dreißig Jahre verabschiedet. Dazu gehören z.B.:

Überhaupt kommt der deutschen Sprache im Bildungswesen Deutschlands nicht die Bedeutung zu, die ihr zukommen müßte. So ist der Anteil des Unterrichts in der Muttersprache in kaum einem Land der Welt so niedrig ist wie hier: ca. 16 Prozent in den Jahrgangsstufen 1 mit 10. Zum Vergleich: Polen 22, Schweden 23, Dänemark 25, Norwegen 24, Frankreich 26, China 26. Zudem gibt es nur wenige Länder, in denen nicht eine Prüfung in der Muttersprache obligatorischer Bestandteil einer Schulabschlußprüfung ist. In Deutschland dagegen ist es möglich, das Abitur ohne eine eigene Prüfung im Fach Deutsch zu erwerben.

Auch die Visionen von der weitreichenden Computerisierung des Unterrichts erweisen sich als nicht tragfähig. Die Basis für die sog. Computer Literacy ist und bleibt die Fähigkeit, gründlich und sinnentnehmend zu lesen. Kurz: Wer sich in einem Buch und in einer Bibliothek nicht auskennt, der kennt sich auch im Internet nicht aus. Deshalb stellt sich gerade angesichts der Vorstellungen und Visionen um "Edut@inment" und „Laptop statt Schulranzen" ernsthaft die Frage: Wo bleiben die beiden Zentralschlüssel zur Bildung - der Schlüssel Muttersprache und der Schlüssel Literatur? Immerhin sollte selbst in Zeiten computerpädagogischer Nürnberger Trichtervisionen gelten: Die Muttersprache ist der Zentralschlüssel für alles Erfahren, Mitteilen, Denken und Lernen.

Dem Deutschunterricht kommt also eine exponierte Stellung zu. Zugleich bleibt das Fach Deutsch maßgebliche Grundlage für einen erfolgreichen Fremdsprachenunterricht.

Deutschunterricht hat vor allem via Literatur die Chance, eine Verständigung über gemeinsame kulturelle Erfahrungen zu schaffen. Entscheidend bleibt, daß möglichst viel gelesen wird. Das Lektürevolumen muß Vorrang haben vor einer mikrochirurgischen Analyse von Textauszügen.

Eine Offensive zu Gunsten des Deutschunterrichts ist überfällig - allein deshalb, weil Sprache und Literatur kulturelle Identität ermöglichen. Teilhabe an Kultur läßt sich eben nur verwirklichen, wenn die Grundlagen für das Reden miteinander gemeinsame sind; der sich immer weiter individualisierenden Kommunikation muß die Schule daher das Allgemein-Verbindliche entgegensetzen.

Zu überlegen ist, ob im Deutschunterricht das Lesenlernen nicht in einem umfassenderen Sinne als herkömmlich verstanden werden soll, nämlich auch als "Lesen" von Tabellen und Graphiken. Die aus Tabellen und Graphiken entnommenen Daten wollen erst einmal gewichtet, bewertet und verbalisiert werden. Die Fertigkeit dazu hat auch mit dem Leistungsvermögen in allen anderen Fächern zu tun. So korreliert zum Beispiel laut PISA die Mathematikleistung ungewöhnlich hoch mit der Leseleistung (Korrelationskoeffizient = 0.55). Das heißt, das Lesevermögen hat einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Leistun- gen im Mathematiktest; immerhin besteht der PISA-Mathematiktest ja vor allem aus Textvorlagen. Es wird dazu als Lernziel im Deutschunterricht das "Verbalisieren von Schaubildern" vorgeschlagen. Gäbe es ein solches Lernziel bereits, die darin geschulten Kinder hätten in PISA erheblich besser abgeschnitten.

Zum Schluß

Laßt uns festhalten an den bewährten Standards!
Laßt uns einmal durchatmen!
Es muß Schluß sein mit der hyperaktiven Innovationsrhetorik!
Mal keine hektische Innovation, das wär' doch 'mal 'ne Innovation!

 

 

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$Revision: 1.1 $
$Date: 2002/10/17 08:32:22 $